MITTAGS IN ROM EINEN CAPPUCCINO TRINKEN – DARF MAN DAS?

Nein, findet eine junge Frau. Und fordert Touristinnen und Touristen auf, sich gefälligst daran zu halten. Hat sie recht?

Hat Rom, wo sich laut Medienberichten Horden von Wildschweinen in den Aussenquartieren und gelegentlich auch in der Innenstadt herumtreiben, keine grösseren Probleme?

Offensichtlich nicht für die junge Frau, die kürzlich im historischen Zentrum die sehr zahlreichen, sehr dicht gedrängten Touristinnen und Touristen auf einem hochgehaltenen Plakat aufgefordert hat: «Please, no cappuccino after 12 pm.» Grund für die Aktion ist ein Umstand, den die italienische Zeitung «Repubblica» mit einem zwischen den Zeilen deutlich spürbaren Gruseln beschreibt: «Im Herzen der Stadt erblickt man mittags auf den Tischen der Lokale Pizzen, die zusammen mit einem Cappuccino konsumiert werden.» Igitt!

Die Frau hat sich offensichtlich vom «dudewithsign» inspirieren lassen, einem Instagram-Account, auf dem ein «Dude» (Typ) namens Seth Philips Fotos veröffentlicht. Darauf hält er Plakate mit Anweisungen oder Fragen hoch, etwa: «Rufen Sie Ihre Grosseltern an!» Oder: «Stehen Sie nicht auf, wenn das Flugzeug gerade gelandet ist!» Oder: «Wer zum Teufel hört sich eigentlich all diese Podcasts an?» Philips erreicht damit die stolze Zahl von 8 Millionen Followern. 

Aber zurück nach Rom und seinen Touristen- und Cappuccino-Strömen: 6000 Kommentare und über 400’000 Likes hat die junge Frau mit ihrer gastronomischen Erziehung erhalten, und auf ihrem Video sieht man auch, wie Kellner, Einheimische und selbst einige Touristinnen der Cappuccino-Lehrerin Beifall klatschen. 

«Es ist nicht verboten, aber ein Italiener würde das nie tun!»

Dass Italienerinnen und Italiener eher Ketchup auf weichgekochte Pasta schütten würden, als nach 12 Uhr mittags (eher nach 10 Uhr morgens) einen Cappuccino zu trinken, gehört tatsächlich zu den erdbebensicheren Italien-Klischees. Wahrscheinlich ist es sogar mehr als ein Klischee, schreibt doch etwa die Gastronomie- und Kochschule Accademia Barilla: «Es ist nicht verboten, aber ein Italiener würde das nie tun!»

Ansonsten warnen vor allem englisch- und deutschsprachige Seiten im Internet ihre reisenden Landsleute eindringlich vor dem grossen Cappuccino-Fauxpas – andernfalls gelte man bei den Einheimischen als stillos, peinlich, ja als barbarisch. «Wenn ihr es trotzdem tut, bittet wenigstens den Barman um Entschuldigung», schreibt der britische «Telegraph». 

Die ewige Angst, sich zu blamieren

Im Wesentlichen werden drei Gründe genannt, weshalb Italienerinnen und Italiener mit vorrückendem Morgen angeblich eisern auf die Mischung aus Kaffee und aufgeschäumter Milch verzichten. Erstens: Es ist einfach so. Der Cappuccino gehört zum Frühstück und fertig. Zweitens: Vor oder während einer Hauptmahlzeit würde der Kaffee die Geschmacksreize des Essens narkotisieren. Drittens: Die Mischung aus Kaffee, heisser Milch und Kakaopulver blockiert den Appetit, verlangsamt die Verdauung und liegt schwer auf. Vor oder nach dem Mittagessen also nicht empfehlenswert, vom Abendessen ganz zu schweigen.

Ähnlich wie Frankreich gehört Italien zweifellos zu den Ländern, in denen Stil, Mode, Eleganz und Savoir-vivre eine wichtigere Rolle spielen als anderswo, weshalb viele Fremde die Angst umtreibt, sich in den Augen der angeblich stilsicheren Einheimischen zu blamieren. Diese Angst ist allerdings meistens übertrieben, und die entsprechenden Tipps und Hinweise haben oft etwas Hyperkorrektes oder Besserwisserisches. Oder sie sind schlicht falsch. Etwa die Behauptung, der Barman oder die Barfrau greife sich auch dann an den Kopf, wenn man als Tourist einen «espresso» bestellt (statt eines «caffè»). 

Wir widersprechen deshalb der jungen Frau und schliessen uns der Empfehlung des englischsprachigen Blogs «Italy explained» an. Dort steht unter dem Kapitel «Die berühmte Cappuccino-Regel», man solle, ob Einheimischer oder Touristin, ruhig zu jeder beliebigen Tageszeit einen Cappuccino bestellen. Das Personal in den Bars habe sich ohnehin längst daran gewöhnt.     

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