HEILIGE HALLEN: BRUTALISTISCHE ARCHITEKTUR IN DER KIRCHE

Pünktlich zu Ostern betrachten wir die ungewöhnlichsten Gotteshäuser Europas im neuen Buch des Fotografen Jamie McGregor Smith

Brutalistische Architektur: Fluch oder Segen?

Mit den Mitteln der Baukunst das Göttliche darzustellen ist seit jeher eine große Aufgabe für Baumeister. Wer in unseren Breitengraden das Wort Kirche hört, denkt nicht an brutalistische Architektur, sondern assoziiert ein archetypisches Bild: ein im Ort zentral platziertes, imposantes Gebäude mit rotem Spitzdach und Glockenturm, umsäumt von idyllischem Baumbestand.

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Dass Gotteshäuser, insbesondere aus der europäischen Nachkriegsmoderne, auch ganz anders aussehen können, zeigt der britische Fotograf Jamie McGregor Smith in seinem neuen Buch „Sacred Modernity“. Er hat für seine Publikation Kirchen ausgewählt, die, wie er sagt, die Freiheit von Kreativität und Fantasie verkörpern. „Obwohl die einzigartigsten und unorthodoxesten Kirchen einen besonderen Reiz ausüben, habe ich auch einfachere Kirchen in das Buch aufgenommen. Diese schlichteren Kirchen repräsentieren bestimmte Stile oder Ansätze aus der Entstehungszeit, die ich unbedingt berücksichtigen wollte.“

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Zwischen kühler Strenge und visionärer Kraft

Früher verkörperten diese Kirchen Zukunftsvisionen, heute stehen sie als architektonische Skulpturen im öffentlichen Raum und sind in ihrem Stil häufig umstritten. Die brutalistischen, futuristischen, fast expressionistischen Formen, die kühlen Materialien und ungewöhnlichen Grundrisse wirken bisweilen provokativ. \\Unter den zahlreichen Gotteshäusern in seinem Buch tut sich für Jamie McGregor Smith ein unscheinbarer Favorit hervor: „Meine Lieblingskirche ist die Osterkirche in Oberwart, Österreich, entworfen von Günther Domenig und Eilfried Huth. Zunächst faszinierte mich, dass sie in Architekturkreisen relativ unbekannt und in Österreich weitestgehend unterschätzt ist. Die Begegnung mit der Kirche zu Beginn des Projekts erfüllte mich mit einem Optimismus, dass es noch viele andere architektonische Juwelen geben würde, die darauf warteten, entdeckt und ans Licht gebracht zu werden. Darüber hinaus besitzt die Osterkirche eine faszinierende Zeitlosigkeit, die mühelos zwischen Antike und Futuristischem balanciert“, sagt Jamie McGregor Smith.

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Projektionsflächen der Metaphysik

Was aber fasziniert den Briten, der die Gebäude gleichermaßen aus der ästhetischen Perspektive wie auf der Metaebene betrachtet, so sehr an der Thematik? „Moderne Kirchen dienen als Portale zwischen zwei Welten: Sie überbrücken die Kluft zwischen Aufklärung und Dogmatismus, Historismus und Futurismus, Rationalem und Übernatürlichem“, so Jamie McGregor Smith.

„Kirchen fungieren als Zufluchtsort für jene, die Trost suchen, dienen aber auch dazu, ihre eigene Botschaft aufrechtzuerhalten und gesellschaftliche Relevanz zu bewahren. Während sich die Spiritualität von der starren religiösen Doktrin hin zur Erforschung des Bewusstseins entwickelt hat, bleibt die architektonische Bedeutung der Kirchen als Ort der Bewahrung sozialer Kultur und menschlicher Geschichte bestehen. Darum sollten sie auch für kommende Generationen erhalten und gewürdigt werden“, sagt der Fotograf.

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Fotografische Pilgerreise

Während seiner Begegnung mit zahlreichen Gotteshäusern habe er zwar keine tiefgreifenden spirituellen Offenbarungen erlebt, erzählt Smith, aber das mit seinem fotografischen Projekt verbundene Unterwegssein und Ankommen hatte sehr wohl einen Effekt auf ihn. „Ich habe vor allem dann ein tiefes Gefühl erfahren, wenn ich nach langen Reisen weit entfernte Orte erreicht habe. Wenn ich zum ersten Mal eine dieser alternativen Realitäten betrete, herrscht eine Mischung aus Aufregung, Ehrfurcht und Unbehagen, die den Akt des Fotografierens verstärkt und in einem tiefen Gefühl der Erfüllung gipfelt, wenn man ein Bild geschaffen hat, das der Beschreibung des physischen Raums nahe kommt“, erzählt Jamie McGregor Smith.\\Und schließlich hat er erlebt, dass sich erhabene, transzendente Erfahrungen auch – oder vielleicht vor allem – ohne die Kirche machen lassen. Jamie McGregor Smith sagt dazu: „Bezeichnenderweise waren die Reisen zu diesen Orten ebenso nachhaltig wie der Akt des Fotografierens selbst. Vor allem die Zugreisen haben einen besonderen Platz in meinem Gedächtnis eingenommen, insbesondere die von Österreich in die Schweiz. Der Zug fährt fast die gesamte Länge der Alpen ab, wo die Schönheit der Natur tiefgreifender ist als alles, was der Mensch erschaffen hat.“

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